Angesichts der Tatsache, dass uns am Ende dieser Woche der kalendarische Sommeranfang und damit einhergehend auch die Sommersonnenwende bevorsteht, fällt es zugegebenermaßen schwer, den Blick schon wieder Richtung Winter zu wenden.
Genau das macht aber die Bundesnetzagentur jeden Tag, egal ob bei 30°C oder 5°C, nachdem der Deutsche Bundestag am 25. März 2022 vor dem Eindruck des russischen Angriffs auf die Ukraine das sogenannte Gasspeicher-Gesetz beschlossen hatte.
Deutsche Gasspeicher überdurchschnittlich voll
Demnach müssen die Gasspeicher zum 1. Oktober 2024 zu 85 % und zum 1. November zu 95 % befüllt sein. Das Zwischenziel von 30 % zum 1. Februar 2024 wurde bereits erreicht. Zu Beginn des letzten Winters war im November sogar die Marke von 100 % erreicht worden.
Der Füllstand der deutschen Gasspeicher liegt mit aktuell 74,5 % über dem EU-Durchschnitt von 71,8 %. Innerhalb der EU verfügt Deutschland über die größte Speicherkapazität von Erdgas.
Russland überholt die USA als größter Gaslieferant Europas
Vor diesem Hintergrund muss die Meldung überraschen, dass Russland im vergangenen Monat zum ersten Mal seit 2022 zum größten Erdgaslieferanten Europas wurde und damit die USA an der Spitze ablöste. Zeitweise kam ein Fünftel des Gases für Europa aus den Vereinigten Staaten über den Atlantik.
Wie Daten des Beratungsunternehmens ICIS zeigen, machten Gas- und Flüssiggas-Lieferungen aus Russland 15 % der Gesamtversorgung der EU, Großbritanniens, der Schweiz und großen Teilen der Balkan-Staaten aus. Aus den USA kamen dagegen nur 14 %, was den niedrigsten Stand seit August 2022 darstellt.
Analyst von Entwicklung überrascht
„Es ist erstaunlich, dass der Marktanteil von russischem Gas und Flüssigerdgas in Europa nach all den Anstrengungen, die wir unternommen haben, um die Energieversorgung zu entkoppeln und von Risiken zu befreien, immer größer wird“, hatte gestern Tom Marzec-Manser, der Leiter der Abteilung Gasanalyse bei ICIS, gegenüber der Wirtschaftszeitung „Financial Times“ zu bedenken gegeben.
Obwohl also die EU weiterhin Sanktionen gegen Russland verhängt und nach eigenen Angaben versucht, die Einfuhr von Flüssigerdgas aus dem Land zu verbieten, sind die Importe so hoch wie nie zuvor.
Brüssel in der Zwickmühle
Dass all die Bemühungen aus Brüssel wohl mehr Worte als Taten sind, wurde spätestens klar, als die Nachrichtenagentur Bloomberg kürzlich berichtete, dass die EU darüber nachdenkt, wie sie das Ende des russischen Gastransitabkommens mit der Ukraine umgehen kann, damit das Gas weiter fließen kann.
Die Ukraine hatte zuvor erklärt, dass sie ihren Transitvertrag mit dem russischen Gaskonzern Gazprom nicht verlängern wird, wenn dieser Ende des Jahres ausläuft. Da aber einige Mitgliedstaaten der EU auf diese Pipeline-Lieferungen angewiesen, hatte sich Brüssel an die Ukraine und an die aserbaidschanische Regierung gewandt, um bei der Vermittlung zu helfen.
Aktuelle Entwicklung nicht von langer Dauer
Nach Einschätzung der Analysten von ICIS dürfte Russland seine Spitzenposition als europäischer Gaslieferant bald wieder los sein. Die Analysten verweisen im Hinblick auf die zweite Jahreshälfte auf eine steigende Nachfrage.
Diese könne Russland mengenmäßig nicht bedienen, da Moskau über den Sommer mehr LNG über die Nordostpassage nach Asien verschiffen werde. Dagegen werden die USA ihre Produktion weiter steigern und bis Ende des Jahres noch mehr neue Kapazitäten auf den Weltmarkt bringen.
Heizölpreise wieder mit Aufschlägen
Nachdem heute im frühen Handel leichte Preissteigerungen für Gasöl, dem Vorprodukt für Diesel und Heizöl, zu beobachten sind, müssen Verbraucherinnen und Verbraucher im Bundesgebiet je nach Region maximal +0,30 Euro bis +0,60 Euro pro 100 Liter mehr bezahlen als noch zu Wochenbeginn.